Wenzelskirche unter den Fingerspitzen - Naumburger Tastmodell feierlich eingeweiht

Wenzelskirche unter den Fingerspitzen - Naumburger Tastmodell feierlich eingeweiht

Naumburger Tageblatt vom 24. Juni 2016

BÜRGERVEREIN Das Naumburger Tastmodell wird feierlich eingeweiht. Besondere Würdigung gilt Waldemar Schewe.

VON CONSTANZE MATTHES
FOTOS: TORSTEN BIEL

NAUMBURG - Es herrschte Bilderbuchwetter, ein azurblauer Himmel wölbte sich über die Naumburger Altstadt. Jürgen Perl ließ auf seinem Saxofon den Klassiker "What A Wonderful World" von Louis Armstrong erklingen.

Passanten warfen neugierige Blicke auf den mit der Naumburger Stadtfahne überspannten Sockel am Stadtmuseum "Hohe Lilie" und jene größere Runde, die sich vor Ort im Halbkreis eingefunden hatte. Die Sektkorken knallten. "Wir haben es geschafft, das Ding ist in Naumburg", sagte Sven Heinisch, Vorstandsmitglied des Naumburger Bürgervereins, wenige Minuten vor der feierlichen Enthüllung des Tastmodells.

Heinisch würdigte das Engagement aller Spender und Sponsoren; so Lions- und Rotary-Club, die Mitglieder des Bürgervereins und die Stadt Naumburg. Sein besonderer Dank galt indes dem Ideengeber, der diesen Tag nicht mehr erleben durfte. Waldemar Schewe, Begründer und langjähriger Vorsitzender des Bürgervereins, war am 14. Februar 75-jährig verstorben (siehe "Person"). Schewe sei es gewesen, der 2012 den Vorstand des Vereins von der Umsetzung der Idee überzeugen konnte und maßgeblich am Erfolg der Finanzierung beteiligt gewesen war, blickte Heinisch zurück - im Beisein von Rosemarie Schewe und weiteren Familienangehörigen. Die Kosten in Höhe von 35 000 Euro konnten durch Spenden gedeckt werden. Oberbürgermeister Bernward Küper würdigte dieses erfolgreiche Vorhaben als gutes Beispiel für eine aktive Bürgerschaft. Den Sockel aus Thüster Kalkstein stiftete die Dombauhütte, die im kommenden Jahr ihr 25-jähriges Bestehen begehen wird.

Das Tastmodell als Bronzeguss bildet die Altstadt und die Domfreiheit im Maßstab 1:600 nach und ermöglicht sowohl Sehenden als auch sehbehinderten Menschen, einen Überblick über die Kernstadt Naumburgs. Besondere Orte werden sowohl mit ihrem Namen in herkömmlichen Buchstaben als auch in Braille-Schrift bezeichnet. Bereits 2013 hatte der Künstler Egbert Broerken den Auftrag für die Umsetzung erhalten. Der 66-Jährige aus der Nähe der westfälischen Stadt Soest war gemeinsam mit seinem Sohn Felix zur feierlichen Einweihung an die Saale gereist. Zusammen hatten sie im Vorfeld Fotografien der einzelnen Straßen und Häuser gemacht. "Wir sind durch jede Straße gegangen, haben uns jedes Haus angesehen", erzählte Broerken. Die Aufnahmen bildeten die Vorlage für ein erstes Hartschaum- und ein späteres Wachsmodell, das der Künstler vorab dem Verein zur Begutachtung vorgestellt hatte. Rund 150 Städte im In- und Ausland hat Broerken bisher in Bronzeguss verewigt, darunter Großstädte wie Hamburg, München und Berlin. Die Idee zu jenen Tastmodellen sei entstanden, als er in Soest, wo eine Blindenschule beheimatet ist, eine Stadtführung mit blinden Jugendlichen beobachtet hatte, erzählte der Westfale während der Einweihung. Doch nicht nur die äußerliche Struktur einer Stadt mache ein solches Modell sichtbar. "Es zeigt damit auch ein Stück Stadtgeschichte."

"Wir haben es geschafft, das Ding ist in Naumburg."

Sven Heinisch

Naumburger Bürgerverein

"So ein Modell zeigt auch ein Stück Stadtgeschichte."

Egbert Broerken

Künstler

PERSON

Vielfältig engagiert

Am 11. September 1940 geboren, studierte Waldemar Schewe Theologie in Jena. Er wurde 1988 als Pfarrer nach Naumburg berufen. Er war als Probst des Domsprengels tätig und bekleidete das Amt eines Domherren bei den Vereinigten Domstiftern. Schewe regte in den 90er Jahren eine Partnerschaft des Evangelischen Kirchenkreises mit einer Diözese in Tansania an und initiierte die Instandsetzung des Domgeläuts, das am 24. Dezember 2005 wieder erklingen konnte. Der Naumburger begründete zudem 2003 den Bürgerverein und stand ihm einige Jahre vor.

2007 ehrte Naumburger Tageblatt/MZ den Bürgerverein mit dem Wenzelspreis. Dieser setzt sich laut Satzung für Kinder und Jugendliche, Bedürftige und Familien ein. Er unterstützt Kindereinrichtungen und fördert Kunst und Kultur sowie die Denkmalpflege und die Stadtgestaltung. Der Verein zählt laut seiner Internetseite aktuell 181 Mitglieder.